Neue Studie:
Transkriptionstools sind auf Erfolgskurs

Eine neue Studie zeigt, dass immer mehr Unternehmen auf intelligente Transkriptionstools (iTST) setzen, um Gesprächsinhalte automatisch zu erfassen und für die Weiternutzung aufzubereiten. Doch die Euphorie über die Effizienzsteigerung täuscht über grundlegende Probleme hinweg – das könnte fatale Folgen haben.

Einsatz von iTST deutlich gestiegen
Medialy hat kürzlich eine Studie über den Einsatz von iTST im Kontext von Unternehmensprozessen veröffentlicht. Nach Aussage von 250 repräsentativ befragten Unternehmen werden iTST inzwischen bei nahezu allen ‚offiziellen‘ Gesprächen eingesetzt, wobei der Status ‚offiziell‘ von den Unternehmen sehr unterschiedlich interpretiert wird. Trotzdem ist unverkennbar, dass diese Technologie nach anfänglichen Schwierigkeiten inzwischen eine umfassende Marktdurchdringung erreicht hat. Die Studie nennt dafür mehrere Gründe:

  • Die Produkte sind inzwischen technisch ausgereift und liefern auch in hitzigen Diskussionen mit beliebiger Teilnehmerzahl und unter schlechten akustischen Bedingungen nahezu fehlerfreie Mitschriften.
    Daneben bieten sie zahlreiche weitere Funktionen wie die automatische Verteilung signierter Protokolle, Übersetzungen oder die Erstellung von Zusammenfassungen.
    Das wichtigste Argument dürfte aber sein, dass inzwischen Lösungen vorhanden sind, die den deutlich höheren Sicherheitsanforderungen im Unternehmensumfeld Rechnung tragen. Anders als viele Privatanwender möchte kein Unternehmen in diesem Anwendungsfeld einen Clouddienst einsetzen. Aus diesem Grund können fast alle Dienste inzwischen auch gekapselt auf autonomen Geräten betrieben werden, so dass eine lokale und netzwerkunabhängige Nutzung problemlos möglich ist (local logging).
  • Da Unternehmen immer umfangreicher auf die Unterstützung künstlicher Intelligenz in Entscheidungsprozessen setzen, ist eine zeitnahe Bereitstellung relevanter Gesprächsinhalte erforderlich. Viele Anbieter bieten deshalb passende Aufbereitungsalgorithmen und Schnittstellen wie GPix, Nargo oder Wontrex, die den Transfer zu gängigen KI-Systemen gewährleisten.
  • Wichtiger wird auch der Einsatz in Human Resource & Development. Gesprächsprotokolle können gemäß gewünschter Kriterien analysiert werden und so in die Bewerber- und Mitarbeiterbewertung einfließen. Dies geht soweit, dass auch Stimmmodulation, Sprechgeschwindigkeit und Formulierungsbandbreite berücksichtigt werden können. Bei Schwächen in der Gesprächsführung können außerdem gezielte Kommunikationstrainings durchgeführt werden.

Medialy kommt zu dem Schluss, dass durch den Einsatz von iTST eine erhebliche Effizienzsteigerung erreicht werden kann und sieht zunehmend Wettbewerbsnachteile für Unternehmen, die sich dieser Entwicklung immer noch verschliessen.

Keiner will mehr böse sein
Leider unterschlägt die Studie der wirtschaftsnahen Marktforscher von Medialy, dass es durchaus Anlass gibt diese Entwicklung kritisch zu hinterfragen.

Die Psychologin Maria DiLuca von der Universität Bologna hat die Auswirkungen von iTST auf das Kommunikationsverhalten untersucht und kommt zu Ergebnissen, die zu denken geben sollten.
Sie zeigt, dass Mitarbeiter bei Verwendung von iTST subjektiv eine Verbesserung des Kommunikationsstils wahrnehmen, sich dahinter aber ein hoher Anpassungsdruck und eine ‚innere Zensur‘ verbergen.
So wird Kritik bei Einsatz von iTST häufig nicht mehr oder nur sehr verschlüsselt geäußert. Streitgespräche oder heftige Konfrontationen bleiben fast vollständig aus. Verständlicherweise führt dies auf den ersten Blick zu einem angenehmeren Kommunikationsklima.
Allerdings sind gerade verbalisierte Konflikte wichtige Bausteine der Unternehmensführung und -entwicklung, so DiLuca. Die Unternehmen verlieren also schlicht ihre Regenerations- und Innovationsfähigkeit.

Regelungen fehlen
Auf eine andere Problematik weist Harald Boetsch vom Forschungsinstitut Arbeitswelt hin. Bisher gibt es unzureichende gesetzliche Regelung für den Einsatz von iTST. Es ist den Unternehmen weitgehend freigestellt, welche Gespräche aufgezeichnet und wofür die gewonnenen Informationen genutzt werden.
Boetsch stellt fest, dass einige Unternehmen lediglich die gesetzlich geforderten Verhandlungsgespräch aufzeichnen, während andere nahezu alle Gespräche dokumentieren und analysieren. Dieser Zustand ist laut Boetsch nicht haltbar, da er die Mitarbeiter einer gefühlt permanenten Kontrolle aussetzt. Die Lösung für ihn kann nur eine klare gesetzliche Regelung sein, da die Selbstverpflichtungen der Unternehmen an dieser Stelle nicht wirklich weiterhelfen.

Fazit
Während die Unternehmensführungen den Nutzwert klar vor Augen haben und durch Implementierung und Einsatz von iTST Fakten schaffen, ist ein politischer Wille zur Regelung aktuell nicht erkennbar. Das mag auch an den Planungen liegen, iTST in Behörden, Schulen und anderen staatlichen Einrichtungen einzusetzen. Das man sich hier politisch nicht selbst die Türe vor der Nase zuschlagen möchte, ist nachvollziehbar.
Und die betroffenen Mitarbeiter? Sie nehmen die Entwicklung zur Kenntnis und fügen sich den neuen Kommunikationsidealen. Widerspruch ist nur selten zu hören – vielleicht weil niemand mehr Protokolle schreiben muss.
Man könnte es aber auch eine antrainierte kommunikative Mittelmäßigkeit nennen – und damit werden sich die Unternehmen langfristig nur selbst schaden.

Markus van Well